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David

 

David, baby mit Encephalocele

Letztes Frühjahr haben Matthias und ich gemerkt, dass in unserem Leben, neben unseren Töchtern Selina und L., Zeit und Raum für ein weiteres Kind ist. Es hat ziemlich schnell geklappt und kurz nach Pfingsten hielten wir einen positiven Schwangerschaftstest in Händen. Wir freuten uns riesig und begannen uns auf unser Kind vorzubereiten. Ich sprach mit dem neuen Leben in meinem Bauch und wünschte mir, dass dieses Kind, das wir liebevoll Knöpfchen nannten, bei mir bleibt. Wie schon in den vorherigen Schwangerschaften, wollte ich mich von Knöpfchens Geschlecht überraschen lassen. Weitere Diagnostik, die über den Ultraschall hinausging, lehnten wir auch dieses Mal wieder ab. In dieser Schwangerschaft wollte ich sogar nur die drei, von der Krankenkasse empfohlenen, Ultraschalluntersuchungen machen lassen und wünschte mir eine Hausgeburt. Davon war Matthias aber zunächst nicht sehr begeistert.

Abgesehen von Haarausfall und, ab etwa der Hälfte der Schwangerschaft, Rückenschmerzen, ging es mir und dem Kind super. „So lange es unserem Knöpfchen gut geht, nehme ich die Zipperlein gerne auf mich“, sagte ich immer. Mein Bauch wuchs und wies bald eine prächtige Rundung auf. Beim großen Ultraschall in der 22. Schwangerschaftswoche, bei dem auch alle Organe des Kindes genauestens untersucht werden, hieß es: "Es sieht alles sehr gut aus. Alles in Ordnung."

Zum Ultraschall in der 30. Woche gingen wir gut gelaunt. Wir freuten uns, noch einmal unser Kind zu sehen, bevor es im Januar geboren werden sollte. Doch dieses Mal war es anders. Die Ärztin untersuchte Knöpfchen viel länger als sonst. Sie schallte und schallte und sagte, sie kann den Kopf nicht richtig abbilden. Es sei zu viel Fruchtwasser da. Egal von wo sie schallte, es ging nicht. Ich hab dann so witzig gesagt: "Unser Kind hat heute eben keine Lust uns sein Gesicht zu zeigen." Das fand die Frauenärztin aber gar nicht lustig. Und ich dann auch nicht mehr. Sie sagte uns, mit unserem Kind stimme etwas gar nicht. Ihre Vermutung war, dass mit dem Herzen etwas nicht passt und der Kopf sei zu klein und es sieht aus, als kommt etwas von dem Gehirn hinten aus seinem Kopf heraus. Sie schickte uns in eine Praxis für Pränataldiagnostik. Den Termin wollte sie für uns vereinbaren. Heute war dort niemand mehr zu erreichen.

Zuhause rief ich als erstes meine Hebamme T. an und erzählte ihr, unter vielen Tränen, vom Verdacht meiner Frauenärztin. T. konnte mich ein bisschen beruhigen. Sie sagte sie hat schon alles erlebt, dass eine solche Diagnose sich bestätigt hat, aber auch, dass sie sich in Luft aufgelöst hat. Ich hatte große Angst in eine Maschinerie zu geraten und mich aus diesem Strudel nicht mehr befreien zu können. T. sagte, das würde nicht passieren. ICH habe alle Entscheidungen zu treffen und muss erstmal gar nichts machen oder zulassen. Ich fragte was mich erwartet und sie sagte es wird erstmal nur nochmal ein Ultraschall gemacht. Die Praxis an die meine Ärztin mich überwies, kennt T. und hätte mir diese auch empfohlen.

Matthias rief seinen Chef an und nahm sich den Rest der Woche frei.

Matthias und ich schliefen in dieser Nacht nur sehr wenig. Wir überlegten, dass meine Ärztin sich verguckt haben musste. Sie war schließlich keine Expertin für so etwas und außerdem hatte sie ein neues Ultraschallgerät. Mit dem kam sie bestimmt noch nicht so ganz klar. Matthias sagte am Abend zu mir "Ich glaub ich hab heute gesehen, dass es ein Junge ist." Und das hatte ich auch gesehen.

Aber wir waren auch ruhelos. Besorgt. Beunruhigt. Wir vereinbarten erstmal alles abzulehnen, um uns nicht überrumpeln zu lassen.

Am nächsten Morgen rief meine Ärztin uns zuhause an. Wir hatten noch an diesem Tag einen Termin in besagter Spezialpraxis.

Gut. Gewissheit wollten wir haben. Auch wenn wir Angst vor dem Ergebnis hatten. Immer wieder sagten wir uns: „Die Ärztin muss sich geirrt haben. Weiß Gott, was die gesehen hat..." waren unsere Worte. In der Praxis angekommen, bekamen wir einen Flyer. Wer will kann sich dort, für 5 Euro, die Ultraschallbilder zum Download schicken lassen. Wir entschieden uns, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen.

Dann wurden wir aufgerufen. Wir wurden in einen abgedunkelten Raum geführt. Ich durfte mich auf einer Liege niederlassen. Matthias bekam einen Stuhl, direkt neben mir. Zu meinen Füßen, an der Wand, hing ein großer Flatscreen, auf dem wir die Ultraschalluntersuchung mit verfolgen konnten. Die Ärztin begann mit der Untersuchung. Sie drückte den Schallkopf viel fester in meinen Bauch als meine Frauenärztin. Und sie sprach immer weniger. Zuerst sagte sie, es sei sehr viel Fruchtwasser. Dann wurde sie aber immer stiller und auf einmal sagte sie, sie würde erst untersuchen und danach mit uns das Ergebnis besprechen. Ab und zu machte sie einen abschätzigen Laut mit dem Mund. Und sie atmete öfter laut hörbar aus. Dabei schrieb sie, auf dem großen Fernseher für uns gut sichtbar, Dinge in die Ultraschallaufnahmen unseres Kindes wie "Fußfehlstellung bds." Oder "Enzephalozele". Matthias und ich hielten uns fest im Arm. Die Tränen liefen uns beiden still die Wangen hinunter. Unser Knöpfchen!

Die Untersuchung dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Tatsächlich waren wir vier Stunden in der Praxis. Zeit haben sie sich wirklich für uns genommen, an diesem Mittwochnachmittag im November. Während die Ärztin immer noch schallte, fragte die Arzthelferin, ob sie noch eine andere Ärztin dazu holen solle. Ja, das wollte die Ärztin, die den Ultraschall durchführte. Die Tür ging auf und eine zweite Ärztin stellte sich uns kurz vor; eine Humangenetikerin. Die erste Ärztin zeigte der zweiten Ärztin, was sie entdeckt hatte. Dazwischen kam noch an uns gewandt ein "ts. Also die Bilder sind ja jetzt wirklich nicht schön. Wollen Sie die wirklich haben?" "Ja! Wir wollen die Bilder."

Dann wurde schließlich auch uns das Ergebnis erklärt: Unser Kind hat Klumphände, das gleiche mit den Füßen. Außerdem hat es einen sehr komplizierten Herzfehler, bei dem man nicht genau erkennen kann, wo das Blut rein und raus geht und es könnte sein, dass links und rechts vertauscht ist. Außerdem ist ein großes Loch in der Herzklappe und eine Verengung am Aortenbogen. An dieser Engstelle sollte eigentlich der Herzschlag beschleunigt sein, aber das ist nicht so. Außerdem ist die Schädeldecke nicht geschlossen und an dieser Stelle wächst tatsächlich ein Teil des Gehirns außerhalb des Kopfes. Und er (so erfuhren wir Knöpfchens Geschlecht) habe auch eine flache Stirn.

All dies zusammen spricht für eine syndromale Erkrankung, sagte man uns. "Manches spricht für Trisomie 13 oder 18. Das können wir aber nur feststellen, wenn wir eine Fruchtwasseruntersuchung machen. Sie liegen ja gerade so schön. Da können wir das doch am besten gleich machen." Doch wir lehnten erstmal alles ab und vereinbarten einen Termin für die folgende Woche. "Das ist sowieso besser. Dann können Sie uns gleich sagen, dass Sie den Abbruch wollen. Ihre Entscheidung dürfen wir nämlich erst nach drei Tagen annehmen. Sie müssen uns nur glaubhaft versichern, dass Sie diese emotionale Belastung nicht aushalten."

David, baby mit Encephalocele

Dieser Satz wurde gebetsmühlenartig immer wieder fallen gelassen. Genau wie: "Mit dieser Diagnose ist ein Spätabbruch gerechtfertigt." Und: "Die meisten Eltern in Ihrer Situation entscheiden sich in so einem Fall für den Abbruch."

Matthias fragte wie die Lebensaussichten für unser Kind sind. Dazu wollte erst niemand etwas sagen. Nach mehrmaligem Nachfragen hieß es dann "0,x %". Es hieß Knöpfchen kann im Mutterleib versterben oder während der Geburt. Spätestens wohl kurz nach der Geburt.

Die Ärztinnen sagten auch, dass sie bei uns sicher seien, hätte das Kind nur das Downsyndrom, würden wir es auf jeden Fall bekommen. Kinder mit Downsyndrom seien lustig und das könnten sie sich bei uns total gut vorstellen? Äh! Was?!? "Aber bei dieser Diagnose..." und wäre es nur der Herzfehler könne man das auch inzwischen gut operieren. Aber diese Masse an Fehlbildungen... Da würden wir keinen Arzt finden, der unser Kind operiert. Uns zog es tatsächlich richtig den Boden unter den Füßen weg. Jetzt verstehe ich, was das bedeutet. Man hört diese Redewendung ja oft. Aber erst jetzt verstehe ich sie wirklich.

Die Humangenetikerin versuchte menschlich und einfühlsam rüber zu kommen: "Weinen Sie. Wann, wenn nicht jetzt." Machte sich aber direkt wieder unglaubwürdig: "Tritt es?" ich nickte. "Das sind nur Muskelzuckungen." Na vielen Dank auch... woher soll sie das denn wissen?

Sie nahm uns dann noch mit in ein anderes Zimmer und stellte uns verschiedene Fragen für eine Familienanamnese. Außerdem warb sie nochmal intensiv für eine Fruchtwasserpunktion. "Wir haben nur JETZT die Möglichkeit an diese Zellen zu kommen. Wenn das Kind im Mutterleib verstirbt, sind sie nicht mehr auswertbar. Außerdem kann natürlich durch eine Fruchtwasserpunktion immer eine Fehlgeburt ausgelöst werden. Dann wäre Ihnen ja die Entscheidung abgenommen. Das ist ja nur gut für Sie."

Sie wollte uns durch die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung auch eine Risikoabschätzung für Folgeschwangerschaften mitteilen. Dies zu wissen kann halt Fluch oder Segen sein. Mir ist lieber, es nicht zu wissen. Ich wollte das auch alles nicht mehr hören und wollte nur noch raus aus dieser Praxis. Weg von dieser doofen Ärztin, die so auf einfühlsam machte und einem dabei einen Hieb nach dem anderen versetzte.

Matthias und ich stolperten irgendwie ins Freie und holten uns an einem Straßenverkauf eine belegte Brezel. Ich hatte kein Mittagessen gehabt und war sehr hungrig. Knöpfchen und auch L., die immer noch stillte, sorgten immer dafür, dass mein Körper nicht vergaß zu essen und zu trinken. Es war inzwischen 17 Uhr. Draußen regnete es. Der Regen vermischte sich mit unseren Tränen und spülte sie weg. Aber es kamen immer neue nach. 

Auf der Heimfahrt konnten wir kaum reden. Wir sagten abwechselnd immer wieder "Scheiße." Viel mehr fiel uns nicht ein. Unser Knöpfchen sollte zum Tode verurteilt sein! Und wir sollten den Zeitpunkt bestimmen! Es konnte nicht sein! Es durfte nicht sein! Aber wir konnten die Augen vor den Tatsachen nicht länger verschließen. Kaum waren wir zuhause, rief auch schon meine Hebamme an, um sich zu erkundigen, wie die Untersuchung war. „Es hat sich alles bestätigt, und noch mehr.“ T. sagte, ich kann mein Baby trotzdem bekommen und kann es auch zuhause bekommen und dann einschlafen lassen.

An diesem Abend erzählten wir unserer großen Tochter, was die Ärzte entdeckt hatten, und dass wir nun auch erfahren hatten, dass unser Knöpfchen ein Junge ist. Wir weinten zu dritt und hielten uns in den Armen.

Auch in dieser Nacht schliefen wir schlecht bis gar nicht. Unsere Gedanken kreisten und wanderten. Immer wieder Tränen.

Am Morgen ging Matthias für zwei Stunden ins Büro um seine Termine für die nächste Zeit abzusagen. Als er um 8 Uhr wieder heim kam, lagen L. und ich noch im Bett. Er kuschelte sich nochmal zu uns und sagte: „Ich will, dass unser Kind einen Namen hat.“ Auch ich hatte darüber nachgedacht, während er in der Arbeit war und wünschte mir auch, einen Namen für Knöpfchen. Ich war die drei Jungennamen, die auf unserer Liste standen, nach ihrer Bedeutung durchgegangen und bei David "der geliebt wird", hängen geblieben. Und so entschieden wir uns für diesen Namen. Unser Sohn war nun nicht mehr Knöpfchen für uns, sondern David.

An diesem Tag kam meine Hebamme vorbei und wir sprachen lange miteinander. Außerdem vereinbarte ich für uns einen Termin beim Hospizverein und mit unserem Pfarrer, weil wir uns Begleitung wünschten. Wir erzählten Matthias' Eltern, die mit im Haus wohnen, von der Diagnose und bekamen erste Resonanzen... mein Schwiegervater konnte wohl die Stille nicht ertragen und platzte heraus "Wenn das behindert ist, gehört das weg!" „Hast du nicht gehört, dass es sowieso nicht leben kann?!?“ rief meine Schwiegermutter aus und sagte zu uns: „Ihr müsst das ganz alleine entscheiden. Lasst euch von niemandem rein reden.“ Sie weinte tagelang von morgens bis abends und ließ sich nach drei Tagen Beruhigungstabletten verschreiben.

Schon am nächsten Vormittag trafen wir unsere Trauerbegleiterin I., vom Hospizverein. Unsere kleine Tochter konnte auch mitkommen. Es war extra jemand da, der mit ihr in einem anderen Zimmer spielte.

David, baby mit Encephalocele

Von der gesicherten Diagnose am Mittwochnachmittag, bis zu unserem ersten Treffen mit I. am Freitagvormittag, hatten wir unseren Plan aufgestellt, wie wir weitermachen wollten. Zuerst erzählte sie etwas von sich. Unsere Trauerbegleiterin hat fünf Kinder, wovon eines im Babyalter verstorben ist. Dann fragte sie, ob sie uns die verschiedenen Möglichkeiten erklären soll, die wir jetzt haben. Doch wir wussten schon, wie wir es machen wollten. Matthias präsentierte unseren Plan: Wir wollen das Kind weitertragen, so lange wir dazu in der Lage sind und zuhause bekommen. Uns ist wichtig, dass niemand an unserem Kind herumfummelt und irgendwelche Schläuche anschließt, nur weil ihm dabei vielleicht einer abgeht, dass er David einen Tag länger am Leben erhalten konnte. Wir wollen, dass David in Liebe und Geborgenheit geboren werden und auch sterben kann. Sollte sich nach der Geburt herausstellen, dass seine Behinderungen doch mit dem Leben vereinbar sind, wollen wir ihm aber natürlich keine medizinische Hilfe vorenthalten.

Wir stellten uns ganz einfach die Frage, mit welcher Entscheidung können wir auch in zwei, in fünf und in zehn Jahren gut leben. Ich verstehe aber, dass es erstmal nur schlimm ist, nach der Diagnose und dass man es einfach nur schnell hinter sich bringen will um weiter vorwärts zu gehen.

I. fand unsere Herangehensweise sehr beeindruckend und bot sich an, uns auf diesem Weg zu begleiten, wenn wir das gerne möchten. Seitdem treffen wir uns einmal wöchentlich mit ihr und besprechen was uns gerade bewegt und beschäftigt. Selina hat eine eigene Trauerbegleiterin vom Hospizverein an ihrer Seite, die speziell für Jugendliche da ist. Die beiden sind Gold wert.

Am nächsten Tag trafen wir uns mit unserem Pfarrer. Selina wollte auch dabei sein. Er versprach uns zu kommen, sobald David auf der Welt ist, und ihn zu taufen. Er kommt, egal wohin. Ob zu uns nach Hause oder in eine Klinik. Er ist da. Das gab uns ein gutes Gefühl. Nebenbei erwähnten wir dort, dass wir einen Kinderarzt brauchen, der uns zur Seite steht, falls wir doch in die Klinik müssen. Und wie es der Zufall so will, hatte unser Pfarrer die Handynummer von einem Kinderarzt, der in einer nahegelegenen Klinik auf der Frühchenstation arbeitet und konnte Kontakt zu ihm herstellen. Wir schickten ihm unseren Befund und Matthias telefonierte mehrere Stunden mit dem Arzt, während dieser Nachtschicht hatte. So meldeten wir uns dort in der Klinik, für den Notfall, an. „Unser“ Kinderarzt bereitete das Kreißsaalteam und die Frühchenstation auf uns vor.

Auf Facebook war ich einer Schwangerengruppe beigetreten, in der die Frauen pro Hausgeburt eingestellt sind und alle im gleichen Zeitraum ihr Kind erwarten. Dort erzählte ich von unserer Diagnose und unserem Plan und fragte ob ich bleiben darf. Ja. Ich darf bleiben. Und was noch viel toller ist: eine Frau aus der Gruppe schrieb, sie habe vor einem Jahr ziemlich genau dasselbe erlebt und lud mich ein, ihr eine persönliche Nachricht zu schreiben. Das nahm ich sehr gerne an und wir haben seitdem regen Austausch. Sie hat mir auch den Dokumentarfilm "Mein kleines Kind" von Katja Baumgarten, in dem ein Kind mit lebensbegrenzender Diagnose zuhause geboren wird, ausgeliehen und mir geholfen unsere Vorbereitungsliste zu vervollständigen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.

Am Sonntag trafen wir eine Kollegin aus der Rettungshundestaffel, wo Matthias ehrenamtlich tätig ist. Von ihr konnten wir ein Sauerstoffgerät leihen; das Zweitgerät ihres Mannes. Im Anschluss waren wir beim Bestatter. Das war sehr schlimm für mich. Aber wir wollten sicher sein, dass bestimmte Wünsche von uns umgesetzt werden können und deshalb wollten wir schon vorfühlen, um noch Zeit zu haben uns, falls nötig, noch weitere Bestatter anzusehen.

Inzwischen hatten wir auch unsere Familien und engsten Freunde informiert. Die Reaktionen waren meistens erstmal Tränen, zumindest bei den Frauen. Und fast alle waren anfangs bestürzt, dass wir keinen Schwangerschaftsabbruch wollten. Einige sagten auch sehr deutlich, ein behindertes Kind habe keinen Platz in dieser Welt und fragten uns, warum wir uns das antun, wo die Medizin uns doch die Möglichkeit gibt, zu entscheiden. Ich hab dann immer geantwortet, dass ich nicht Gott spielen will und es für mich am allerschlimmsten ist, diese Wahlmöglichkeit überhaupt zu haben. Und Matthias sagte, das sei das gleiche, als würden wir das Kind bekommen und ihm dann ein Kissen aufs Gesicht drücken. Auch, dass wir in 5 Jahren noch in den Spiegel schauen können wollen, sagten wir oft.

In der Zwischenzeit haben wir auch, unsere zweijährige Tochter, L. informiert. Naja. Ich hab ihr halt gesagt, dass das Baby in meinem Bauch sehr krank ist und nicht lange bei uns bleiben kann und wir deshalb sehr traurig sind und viel weinen. Ich hatte den Eindruck sie versteht es.

In der folgenden Woche trafen wir meine Frauenärztin wieder. Sie sagte sie wisse schon Bescheid und wir müssen uns überlegen wie wir weitermachen wollen. "Wir wissen schon wie wir es machen wollen." sagten wir und erzählten ihr von unseren Hausgeburtsplänen. Sie wirkte erfreut und meinte von medizinischer Seite spricht nichts dagegen. Das erleichterte uns sehr. Sie meldete uns dann noch im nächstgelegenen Krankenhaus an, da dieses am schnellsten zu erreichen ist, falls nur ich medizinische Versorgung brauchen würde. Sie sagte bei der großen Menge an Fruchtwasser kann David sich jederzeit auf den Weg machen. Sie vermutete, ein Blasensprung würde den Geburtsbeginn kennzeichnen. Und sie möchte gerne ein Bild von David haben.

Den Termin in der Fachpraxis für Pränataldiagnostik hatten wir abgesagt. Von unserer Trauerbegleiterin wussten wir, dass wir nur einen Abstrich von Davids Mundschleimhaut brauchen, wenn wir genau wissen wollen, was er hat.

Wir nahmen Kontakt zu der Organisation Dein Sternenkind auf und fanden eine Fotografin, die direkt nach Davids Geburt zu uns kommen und Bilder machen wird.

David, baby mit Encephalocele

Auch zu einer Frau, die für Frühgeborene und Sternenkinder näht, nahmen wir Kontakt auf und baten um einen Taufaufleger. Dorthin hatte ich fast genau ein Jahr zuvor mein Brautkleid, zu eben diesem Zweck, gespendet. Sie wollte noch am gleichen Tag ein Päckchen fertig machen. Leider kam dieses aber nicht bei uns an. Auf unsere Nachfrage, mit welchem Transportdienstleister sie denn versendet hat, kam keine Reaktion mehr. Wir warteten noch einige Tage. Dann wandten wir uns an die Aktion Nähen für Regenbogenkinder und Frühchen. Deren sehr liebevolles Päckchen kam bereits zwei Tage später bei uns an.

Wir sammelten an Informationen was nur eben ging. Wir hatten Angst wegen der Enzephalozele. Wie würde unser kleiner David aussehen? Würde er Schmerzen haben? Das wollten wir auf keinen Fall. Unsere Hebamme besorgte ein starkes Schmerzmittel. Wieder eine Sorge weniger.

Niemand konnte uns sagen, ob eine Haut darüber ist, oder ob das Gehirn an der Stelle frei liegt. Wir hatten Sorge, die quasi offene Wunde würde an einem Verband oder ähnlichem festkleben. Also besorgten wir sterile Handschuhe, die wir notfalls darüber stülpen können. Und so wurde unsere Ausrüstung größer und größer. L.s ganzes Gitterbett war voll mit Dingen für die Geburt und Davids Ausrüstung. Wir besorgten auch Frühchenkleidung und für den Sarg häkelte meine Mutter eine mintgrüne Einschlagdecke.

Abends küsste L. meinen Bauch und sagte "Gute Nacht David." bevor sie ins Bett ging. Manchmal sagte sie auch "David. Bruder. Hab ich lieb."

Wir hatten uns um alles Mögliche und Unmögliche gekümmert: Wir hatten zwei Hebammen. Falls ich in die Klinik muss, bliebe eine bei David und Matthias und die andere käme mit mir. Wir hatten zwei Kliniken, die auf uns und unsere besondere Situation vorbereitet waren. Zwei niedergelassene Kinderärzte standen bereit und hatten uns ihre Handynummern gegeben. Die Hebamme hatte die Schmerztropfen in ihrer Tasche. Wir hatten Sauerstoff da. Hatten einen Taufaufleger und eine Geburtskerze besorgt. Babybeatmungsmasken und Magensonden lagen genauso bereit wie Matthias' Erste Hilfe Tasche. Frühchenwindeln und -kleidung war da. Am Schlüsselbrett hingen die Telefonnummern von Pfarrer und Fotografin. Und noch vieles mehr, das mir gerade nicht einfällt...

Wir sagten David, dass wir bereit sind. Er darf kommen wenn er so weit ist.

Am 06. Dezember, genau vier Wochen nach der Diagnose, entschied sich David zu uns zu kommen. Es war eine sehr schöne selbstbestimmte Hausgeburt, die nicht mit einem Blasensprung begann, sondern mit Wehen. Meine erste Geburt, bei der nicht der Blasensprung am Anfang stand. Ich spürte David die ganze Geburt über, wie er sich in meinem Bauch bewegte. Das gab mir Kraft, weil ich wusste, dass er lebt. Wir machten uns keine Illusionen: David würde nur so lange leben können, wie die Nabelschnur pulsierte. Die Fruchtblase platzte erst ganz am Ende, während den Presswehen. Und das war für David das Allerbeste. So war sein Kopf bis zum Schluss gut geschützt und abgepolstert.

Und dann war er da! Unser Sohn David, unser kleines Knöpfchen, war geboren. Er lag da und blinzelte uns kurz an. Dann machte er die Augen wieder zu. Es war ihm wohl zu hell. Er bewegte sich ab und zu und zweimal hörten wir sogar seine Stimme.

All unsere Ängste und Sorgen erwiesen sich als völlig unbegründet: David war wunderschön!

Seine Hände hielt er geschlossen. Daumen und kleiner Finger lagen über den mittleren Fingern. Seine Füße waren nach innen gedreht und berührten sich an den Zehen. Er hatte ganz dunkelbraune Haare. Die Stelle an seinem Hinterkopf, wo die Zele lag, war von einer dünnen Haut geschützt und sah aus wie eine kleine Blase oder ein Dutt. Auch T. sagte, er ist ein ganz Hübscher.

Kaum war David geboren, ging die Tür auf und Selina kam von der Schule. "Warum habt ihr mich nicht angerufen?" "Weil David gerade erst geboren wurde." Matthias holte auch L., die bei meiner Schwiegermutter wartete, dazu. David lebte eine ganze Stunde und fünf Minuten mit uns. Die ganze Zeit über lag er auf meinem Bauch. Wir hielten ihm Sauerstoff vor seine Nase und bewunderten ihn alle, wie er so da lag. Ganz friedlich. Wir waren richtig verzaubert von ihm. Als er sich zum zweiten Mal bewegte, rief Selina: "Er lebt ja!" und fing an zu weinen. Der ganze Raum war von einer tiefen Liebe, Frieden und Ruhe erfüllt. Ich kann dieses Gefühl gar nicht richtig in Worte fassen.

Da wir den Pfarrer nicht erreichen konnten, taufte Selina ihren kleinen Bruder, mit Hilfe von Hebamme J., die eine kurze Ansprache hielt. Davids Herzschlag wurde immer schwächer und langsamer und hörte schließlich einfach auf. Diese 65 Minuten, die uns mit David geschenkt wurden, sind für uns alle unendlich kostbar. Es war so schön, dass wir alle zusammen, die ganze Familie, dies erleben durften.

Eine der Hebammen rief die Sternenkindfotografin an. Bevor diese eintraf, durften Matthias' Eltern und seine Schwester David sehen und halten. Dann erreichten wir auch den Pfarrer. Er hielt in unserem Wohnzimmer eine kurze Andacht für David und segnete seine Geburtskerze. Wir sangen das Kindermutmachlied und salbten David. L. gefiel das besonders gut. Sie salbte David gleich mehrmals.

Die Fotografin hatte wunderschöne Kleidung für David dabei. Einen Strampelsack auf dem Regenbögen und Einhörner abgebildet waren und eine Sternenmütze. Außerdem brachte sie uns noch eine Geschenküte von Hope Angels mit. Darin waren unter anderem eine Kerze, ein Trosttee, bunte Taschentücher, zwei Schlüsselanhänger und Vergissmeinnicht-Samen. Bevor wir die Fotos machten, duschte ich und zog mich um. Es wurden ganz wundervolle Bilder.

An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei unserer Fotografin Michaela Mogath, bei dein Sternenkind, bei Hope Angels sowie der Aktion Nähen für Regenbogenkinder und Frühchen bedanken. Ihr habt wirklich bleibende Erinnerungen für uns geschaffen und eure Unterstützung an diesem Abend war und ist so unendlich wertvoll. DANKE!

Unsere Trauerbegleiterin kam auch vorbei um David kennen zu lernen und Matthias' Geschwister mit Familien und seine Eltern waren auch noch da. Wir hielten David abwechselnd im Arm, bis Selinas Freund O. mit der Pizza kam. Zum Essen legten wir David in das Stubenbettchen, in dem schon Matthias und L. gelegen hatten. Immer wieder nahmen wir ihn an diesem Abend heraus und hielten ihn im Arm. In der Nacht stellten wir das Stubenbett neben unser Bett. Wovor wir uns zuvor gefürchtet hatten, fühlte sich nun ganz normal und natürlich an. An diesem Tag war es komischerweise ganz okay und normal für mich, dass David gestorben war. Alle anderen um mich herum weinten. Ich war noch voller Schwangerschafts- und Geburtshormone, die mich oben hielten.

Am nächsten Tag realisierte ich es dann auch und weinte sehr viel. Beim Frühstück stand Davids Bettchen wieder neben uns. Danach schoben wir es wieder ins Schlafzimmer, weil es dort kühler ist. L. wollte David noch ganz oft halten. "Mama. Bitte David holen. David halten." Selina konnte aber nicht so gut damit umgehen. Deshalb holten wir David nur herüber ins Wohnzimmer, wenn Selina nicht da war. L. ging ganz natürlich damit um. Für sie war es ganz normal ihren toten Bruder im Arm zu halten. Sie hielt ihn und sagte dabei "David. Kleiner Bruder. Schöner David." An dem Tag kam auch die Kinderärztin um Davids Tod festzustellen. Das hat sie sehr würdevoll getan. Wir haben seine Kerze dazu angezündet und sie sah ihn sich von allen Seiten einmal an und hörte ihn ab. Dann gingen wir ins Esszimmer, wo sie den Totenschein ausstellte. Die Hebamme war auch da, um der Ärztin das Schmerzmittel zurück zu geben, das wir nicht gebraucht hatten. Mit T. zusammen stempelten wir noch Davids Fußabdrücke auf ein festes Blatt Papier.

David, baby mit Encephalocele

Am nächsten Tag hatten wir volles Programm. Wir fuhren zum Bestatter um das weitere Vorgehen zu besprechen, den Kindersarg auszusuchen und die Trauerbilder zu bestellen. Zum Pfarrer um die Trauerfeier zu planen. Zur Gemeinde um David an- und abzumelden und ein Kindergrab zu pachten. Zum Friedhof mit dem Standesbeamten, um die Stelle für Davids Grab auszusuchen. Er gab uns seinen Schlüssel für das Leichenhaus, damit unser Bestatter David dort hinbringen und zur Beerdigung wieder abholen konnte. Dann ging es weiter zum Arzt um eine neue Krankschreibung für Matthias zu holen und zum Floristen um den Blumenschmuck für die Beerdigung zu bestellen. Kaum zu glauben, aber am schlimmsten von all diesen Aufgaben war es für mich den Blumenschmuck zu bestellen.
L. war in der Zeit bei meiner Mutter, die an diesem Tag angereist war, um uns zu unterstützen.

Abends kochte meine Mutter uns etwas und danach wollte L. David noch einmal halten. Anschließend machten wir David für seine letzte Reise bereit. Ich hatte sehr große Angst davor, wollte es aber unbedingt selbst tun und nicht dem Bestatter überlassen. Und wieder war das wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte, gar nicht schlimm, sondern sogar sehr schön. Es wurde eine richtige Verabschiedungszeremonie. Wir zündeten Davids Kerze an, zogen ihn aus und streichelten ihn ausgiebig. Dann zog ich ihm den Frühchenbody aus Wolle/Seide an, den wir für ihn besorgt hatten. Er sollte es schön warm haben.

Danach hüllten wir ihn in seine Einschlagdecke, die wundersamer Weise perfekt zu dem Bekleidungsset passte, das die Fotografin mitgebracht hatte, und nachdem seine Omas und sein Papa ihn nochmal kurz gehalten hatten, küsste ich meinen Sohn und legte ihn vorsichtig in seinen Sarg. L. deckte ihn mit ihrer Decke zu, die sie ihm ganz selbstverständlich geschenkt hatte. Matthias legte auf Davids Füße ein Foto von uns allen. Auf die Rückseite hatte er eine Nachricht für David geschrieben. Selina hatte ein Schnuffeltuch für David gekauft. Das legten wir neben seinen Kopf, mit auf sein Kissen. Auf seine Brust legten wir drei der kleinen Herzen, die meine Mutter, passend zur Einschlagdecke gehäkelt hatte. Ich schickte ihm seine Plazenta mit, die wir zu seinen Füßen unter seine Matratze legten. Von meiner Mutter bekam er noch einen Engel als Anstecker an seine Einschlagdecke geheftet. Dann verschlossen wir Davids Sarg. Dieser stand auf dem Boden, damit L. auch alles mitbekam und ganz nah dabei sein konnte. Sie drehte auch eine der vier Schrauben zu.

Anschließend brachten wir David alle zusammen zum Leichenhaus. Matthias durfte ihn selbst mit unserem VW-Bus fahren. Der Bestatter saß auf dem Beifahrersitz, L., meine Mutter und ich auf der Rückbank. David stand im Raum vor unseren Füßen. Meine Schwiegereltern fuhren mit ihrem eigenen Auto hinter uns her. Gerade als wir ausstiegen kamen auch Selina und ihr Freund dazu. Selina wollte eigentlich nicht dabei sein und war zu einer Freundin geflüchtet, hatte sich aber in letzter Minute umentschieden. Wir brachten Davids Sarg ins ansonsten leere Leichenhaus, zündeten den Leuchter für ihn an und besprenkelten seinen Sarg mit Weihwasser. Dann gingen wir nach Hause und fielen ins Bett. Inzwischen war es nach 22 Uhr.

Am nächsten Tag ruhten wir uns hauptsächlich aus, bevor dann am Samstag die Beerdigung stattfand.

Die Trauerfeier war wunderschön. Wir haben einen Brief an David geschrieben, den unsere Trauerbegleiterin vorgelesen hat. Den Brief hat David dann auch mit ins Grab bekommen. Ein guter Freund unserer großen Tochter hat Gitarre gespielt und dazu gesungen. Wir hatten uns Segne du Maria, Von guten Mächten, Still von Jupiter Jones und mein Favorit: Mich ruft mein Stern von Rolf Zuckowski ausgesucht. Auch am Friedhof wurden wir noch von unaufdringlichen Gitarrenklängen begleitet. Das hat uns besonders gut gefallen. Es hat dem Ganzen einen würdevollen Rahmen gegeben. David hat sehr viele Blumen, Engel und einige Kuscheltiere bekommen. Außerdem konnte jeder ein rotes Herz aus Papier mit Wünschen für David beschriften und ihm auch mit ins Grab geben. Eine Freundin von mir hatte bunte Luftballons dabei, die sie dann am Grab fliegen ließ. Mein Schwager hatte von uns den Auftrag erhalten ein paar Fotos zu machen. Die Bilder von den Ballons sind besonders schön geworden. Es tat gut zu sehen, dass viele Menschen Anteil nahmen, unseren Brief an David hörten und dabei waren, als wir seinen Körper der Erde übergaben. Alle, die noch mit in die Gaststätte gekommen sind, haben dann auch so ein kleines Herz bekommen, wie David es in seinem Sarg dabei hat.

So traurig es ist, dass David nicht bei uns bleiben und groß werden kann, so schön ist es aber auch ihn kennen gelernt zu haben. Wir sind so froh, dass David zu uns gekommen ist und unglaublich dankbar für die Zeit, die uns mit ihm geschenkt wurde. In unseren Herzen lebt er weiter. Wir würden uns immer wieder für das Kind entscheiden. Für das Leben. Wie kurz es auch sein mag. David war ein Geschenk. Jedes Kind ist ein Geschenk.

 

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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 22.02.2019