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Emma

 

17.2.1992 – 21.2.1992

Das Ergebnis unseres Schwangerschaftstests war zuerst nicht überzeugend. David ging noch einmal zurück zum Test um sicherzustellen, dass das ursprünglich negative Resultat immer noch gleich war. Dann kam er fast fliegend zu mir zurück in die Küche um mir mitzuteilen, dass es positiv war!

Mein erstes Gefühl war "überwältigend"... sowohl aufgeregt wegen des neuen Babys, aber auch erschöpft nach einem schwierigen Jahr mit Hannah, welche zu diesem Zeitpunkt 9 Monate alt war und immer noch gestillt wurde. Meine Schwangerschaften sind nie einfach und unser Lebensstil ist ziemlich anstrengend.
David war entzückt.

Mir wurde fast sofort schlecht und dieser Zustand hielt die ganze Zeit über an. Von der morgendlichen übelkeit verlor ich einige Pfunde in den ersten paar Wochen. In einer speziell schlimmen Nacht schlief ich praktisch im Badezimmer und blieb dort die ganze Nacht; ich war so krank, dass ich am nächsten Tag wegen Austrocknungsgefahr hospitalisiert werden musste. David war auswärts und musste mit einem chaotischen Mitternachtsflug zurückkehren.

Ich möchte hier betonen, dass ich mir, sobald ich von dieser Schwangerschaft wusste, auf eine unnatürliche Weise Sorgen machte. Normalerweise bin ich keine nervöse Mutter, aber bei diesem Baby geriet ich manchmal in Panik um seine Gesundheit. Ich glaube, dass ich wirklich wusste, was in meinem Bauch passierte.

Währenddem ich im Spital war, entschied mein Arzt, den Routine–Ultraschall vorzunehmen. So lag ich etwa in der 10. Schwangerschaftswoche auf dem Ultraschalltisch. Es wurden viele Fotos gemacht – und grosse Stille. Nachdem das Technische erledigt war kam der Radiologe und ich fragte ihn sofort, ob mein Baby ein Gehirn hätte. Er sah mich scharf an und ich wiederholte meine Frage "hat es eine Anenzephalie?" Er antwortete mir, dass er nicht sicher sei und alles noch offen etc. und dass sie die Placenta previa untersuchen würden. Ich verstehe, dass sie durch meine Fragerei ziemlich entnervt waren und versuchten, etwas Zeit zu gewinnen, bevor sie mir erzählten, was sie wirklich suchten.

So war es kein Schock für mich, als der Arzt hereinkam und uns mitteilte, dass das Resultat des Ultraschalluntersuchs schlecht war und dass unser "Produkt der Empfängnis in einer Kondition war, welche inkompatibel mit überleben sei". Was? Sie meinen, mein Baby wird sterben? Es war, wie wenn ich diese Szene von ausserhalb betrachtete – nur zuschaute.

Man sagte mir, dass die Standardmassnahme in diesem Zustand eine "Frühgeburt" sei. Es würde Prostaglandin Gel an meinen Muttermund gegeben, dies würde die Geburt einleiten. Das könne ca. 24 - 72 Stunden dauern und ich würde fiebern, brechen, Durchfall und Schüttelkrämpfe haben. Ich würde einen kleinen Fötus gebären, welchen ich behalten und beerdigen könne wenn ich dies wünschte. Dies war die Pro–Leben–Version und ich bin überzeugt, dass die meisten ärzte nur eine Auskratzung machen würden, damit du das alles schnell hinter dir hast.

Mein Arzt war so freundlich wie er nur sein konnte unter diesen Umständen, aber ich merkte, dass er nicht wollte, dass ich dieses Kind bekomme. Zuvor hatten wir darüber diskutiert, mir zuhause intravenös Flüssigkeit zu verabreichen, aber jetzt sagte er, "das werde nun nicht mehr nötig sein" (da ja das Baby sowieso sterben würde, wieso irgendeine Behandlung?).

Wir debattierten ca. 5 Minuten – ich gebe zu, es sah so aus dass wir die Geburt jetzt einfach einleiten würden, das Baby würde ja sowieso sterben. Warum eine schwierige Schwangerschaft durchmachen mit zwei kleinen Kindern zuhause, wo wir doch wussten, dass das Resultat der sichere Tod sein würde? Ich hatte gemischte Gefühle, was die Schwangerschaft anbelangte, aber dann realisierte ich, dass dies mein Kind war, welches in mir wuchs und es verdiente ebenso viel Liebe wie meine anderen beiden. Warum sollte ich ihm den Rücken kehren, nur weil ihm ein Organ fehlte? Wenn meine beiden anderen ein Glied verlieren würden, oder ein Organ, würde ich sie auch nicht weniger lieben.

Ich war dankbar, dass David mich unterstützte, die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Was, wenn die Diagnose falsch war? Es würde kein Zurück geben, wenn wir die Geburt einleiten und dann herausfinden würden, dass unser Kind tatsächlich perfekt gewesen wäre, wie könnten wir damit weiterleben? Dazu kommt, dass wir glauben, dass Gott jedes Gebrechen heilen kann, auch wenn dies nicht unbedingt sein Wille sein muss.Wenn wir jedoch abbrechen würden, wäre überhaupt keine Chance da, dass sie geheilt würde. Wir entschieden, zwei Wochen zu warten und den Ultraschall zu wiederholen.

Dieser Test zeigte dasselbe Resultat. Der Ultraschalltechniker erklärte uns vieles über Anenzephalie. Er sagte uns, dass unsere Tochter wahrscheinlich die Geburt nicht überleben würde, dass sie jederzeit im Uterus sterben könne. Wenn sie die Niederkunft überleben würde, würde sie wie bewusstlos sein. Sie würde keine Reaktionen haben, ihre Augen nicht öffnen, wüsste nicht, dass wir um sie herum sind, nichts. Wir sollten wirklich in Betracht ziehen, dass, wenn wir diesen Fötus bis zum Schluss austragen würden, (was er wirklich nicht verstand), er der perfekte Kandidat für Organspende sein würde.

War das das, was Gott mit uns vorhatte für dieses Kind? Sollte ihr ganzer Lebenssinn in der Organspende liegen? Wir waren sehr verwirrt nach dieser Information, versuchten aber, offen für alles weitere zu bleiben.

Ich erfuhr dann, dass nichts, was uns der Ultraschalltechniker erzählt hatte, der Wahrheit entsprach.

Organspende ist nicht einmal erlaubt bei einem Baby mit Anenzephalie, obwohl ihm der obere Teil des Gehirns fehlt, hat es doch einen Gehirnstamm haben, der es am Leben erhält. Es ist nicht nötig, seine Lebensfunktionen künstlich aufrechtzuerhalten. Es ist gegen das Gesetz, von irgendjemandem mit einem funktionierenden Gehirnstamm Organe zu entfernen. Dies wurde mir von einem Vertreter der Life Bank, der Organspende–Organisation, mitgeteilt. Was für eine Erleichterung, als ich auch noch erfuhr, dass alle Spender von Organspenden zwar physisch noch leben, aber bereits hirntot sein müssen. Ursprünglich hatte ich geglaubt, dass, wenn wir dies täten, wir sie behalten könnten bis sie sterben würde, und sie sie dann nehmen würden, aber in der Zwischenzeit hatte ich erfahren, dass Organspende nur möglich ist, wenn der Körper noch lebt, obwohl das Gehirn seine Funktion aufgeben muss. So hätte die Organspende für sie bedeutet, dass man sie mir sofort nach der Geburt weggenommen hätte und die Operation um ihre Organe zu "ernten" wäre vorgenommen worden, obwohl sie noch lebte. Sie würde auf dem Operationstisch nach der Entnahme ihrer Organe sterben. Ich wusste, dass ich das meinem Kind nicht antun wollte. Somit wurde mir eine grosse Last von den Schultern genommen als ich herausfand, dass dies gegen das Gesetz ist. (übrigens wurde dieses Gesetz in verschiedenen amerikanischen Staaten geändert. Es gibt einige Leute, die ihre Organe unbedingt brauchen wollen und versuchen, eine Ausnahme zum Hirntodkriterium zu erhalten. Ich finde dies abscheulich und setze mich voll ein, gegen diese Idee zu kämpfen.)

Ich glaube, dass mein Arzt entsetzt und erschreckt war von unserer Entscheidung, das Baby bis zum Endtermin auszutragen. Ich weiss, dass er nie zuvor mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen war, er hatte Angst und fühlte sich nicht kompetent. Ich glaube auch, dass ihm jegliche emotionalen Gefühle fehlten, um mir beim Austragen dieses Kindes zu helfen und meinte, es sei einfacher für alle, wenn wir die Schwangerschaft abbrechen würden. Also versuchter er mir Angst zu machen, indem er mir von allen möglichen schrecklichen Sachen erzählte, die mir während dieser Schwangerschaft passieren könnten. Hauptsächlich, dass ich Hydramnion (zu viel Fruchtwasser) entwickeln würde "und aufgebläht sein würde wie eine Frau mit Drillingen". Und auch, dass ich nicht imstande sein würde, normal niederzukommen. Da dem Baby der Schädel fehle, könne der nötige Druck auf den Muttermund nicht ausgeübt werden. Möglicherweise müsste er mir den Muttermund aufschneiden oder einen Kaiserschnitt machen, und "ob ich wirklich einen Kaiserschnitt auf mich nehmen möchte, dem doch nur eine Beerdigung folgen würde?".

Obwohl mich diese Information sehr erschütterte, hatte ich immer noch das Gefühl, dass ich mich am Ende von einem Kaiserschnitt erholen könnte, aber dass ich nie eine andere Möglichkeit haben würde, mein Baby zu halten, selbst wenn es nur für einige wenigen Minuten sein würde.

Ich entschloss mich, die Informationen, welche er mir gegeben hatte, zu untersuchen und fand heraus, dass sie von Grund auf falsch waren. Obwohl Hydramnion vorkommen kann, gibt es auch einfache Methoden, dies zu behandeln. Auch fand ich keine Beispiele, wo Geburten von Babies mit Anenzephalie einen Kaiserschnitt benötigten. Ich konfrontierte ihn mit diesen Informationen und er antwortete, dass "es für ihn viel einfacher wäre, wenn ich nicht soviel wüsste". Dann und dort entschied ich mich, dieses Baby nicht mit ihm zu bekommen.

Die Moral dieser Geschichte ist, dass du die Wahrheit rausfinden musst über das, was dir erzählt wird und realisieren musst, dass jedermann, der dich berät seine eigenen Zweifel und Unzulänglichkeiten hat. Es ist begreiflich, dass diese Zweifel oberhand nehmen in ihrem Ratschlag an dich. Du musst realisieren, dass nur du und deine Familie mit deinen Entscheiden leben müssen. Treffe diejenigen, bei denen du glaubst, jetzt und für den Rest deines Lebens damit leben zu können.

So fing unser langes Warten an. Am 29. Juli 1999, in der 10. Schwangerschaftswoche erhielten wir die Diagnose; erst am 17. Februar 1992 wurde Emma geboren. 7 kummervolle Monate brachen an.

Ich war überrascht, wie wenig Unterstützung wir für unsere Entscheidung erhielten, sogar von unserer fundamentalistischen Kirche. Es schien, dass alle glaubten, dass die meisten Babys ein Recht auf Leben hätten, aber vielleicht nicht dieses. Ich fand keine Angaben in der Bibel, wo Gott Fehler machte, denen wir Abhilfe schaffen sollten. Die Bibel sagt, dass alle Kinder durch Gottes Weisheit und Liebe geformt werden. "Weniger als perfekt" ist eine von Menschen entwickelte Kategorie, nicht eine geistige.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Freunde, welche mir am meisten geholfen haben, diejenigen waren, welche mir beim Saubermachen halfen und sich um die anderen Kinder sorgten. Ich realisiere jetzt, dass ich tieftraurig war über diesen Verlust, und dass Trauer einen enormen Zoll abverlangt. Ich war nicht mehr fähig, sogar mit den einfachsten Dingen fertig zu werden. Auch hatte ich überhaupt kein Verständnis für irgendwelche gut gemeinten aber herzlosen Bemerkungen, wie "wenigstens ist es ein Mädchen, welches du verlierst und nicht einen Jungen, da du doch schon zwei Mädchen hast" oder "ich danke Gott, dass du nun wenigstens eine grössere Zeitspanne haben wirst zwischen den Kindern; drei in 4 Jahren ist wirklich zu viel". Ich fürchtete mich bereits vor jeder Bemerkung, welche mit "Wenigstens..." anfing. Ich wusste, es würde weh tun, was auch immer als nächstes kommen würde.

Die nächsten Monate waren genau wie mit einem Kind mit fataler Diagnose zu leben. Emma war in einem Zustand, der ihr das Leben wieder nehmen würde, und wir hatten ein ungefähres Datum, wann das sein sollte. Genau wie Eltern mit unheilbar kranken Kindern, nutzte ich die Zeit, die ich mit ihr hatte. Ich wusste, dass es ihr so lange sie in meinem Bauch war gut gehen würde. Ihre starken Bewegungen und konstante Aktivität waren der Beweis, dass ihr Leben stark war. Sie wusste nicht, dass irgend etwas mit ihr falsch war.

Die Niederkunft begann schlussendlich am 15. Febuar, 3 Wochen nach dem ausgerechneten Termin. Ich habe seither erfahren, dass das übertragen bei einer Schwangerschaft eines Babys mit Anenzephalie sehr normal ist. Es war eine lange und schwierige Niederkunft, aber ich hatte viele grossartige Freunde und eine wundervolle Hebamme, die mich alle unterstützten. Ich glaube wirklich, dass ihre Unterstützung entscheidend war – ihr Glauben dass Emma ein Baby war, welches ihre Liebe und Vertrauen verdiente, und ihr Vertrauen, dass ich diese Geburt allein durchstehen könnte.

Ich wählte eine Hausgeburt, weil ich wollte, dass sie von Leuten umgeben sein sollte, die sie liebten. Ich hatte das Gefühl, dass ich dies in einem Spital nicht gewährleisten könnte, und wenn sie nur ein paar Minuten leben würde, wollte ich, dass es wundervolle Minuten sein würden.

Ich war überglücklich als sie kurz nach der Geburt einen normalen Schrei ausstiess. Es war ein Wunder, dass sie immer noch lebte. David fing sie auf und fing gleich an zu weinen. Ich glaube, er hoffte immer noch, dass es nicht wahr sein würde, dass Emma keine Anenzephalie haben würde, dass dies alles ein grosser Irrtum wäre. Aber als sie geboren war gab es kein Verstecken der Realität. Sie hatte Anenzephalie, aber sie war einfach wunderbar. Man legte ihr Tücher dorthin, wo der Schädel sein sollte, was ihr Köpfchen kleiner machte, aber alles andere war einfach perfekt. Man konnte kaum sehen, dass irgend etwas anders war an ihr.

überglücklich über ihren gesunden Herzschlag und grossartige Farbe, entschied ich mich, zu versuchen, sie zu stillen. Kannst du dir meine überraschung vorstellen, als sie hungrig nach meiner Brust schnappte und ich sie während ca. 20 Minuten stillen konnte! Ich konnte sie nachher noch einige Male stillen und jedes Mal war wie ein Geschenk.

Emma lebte fünf wunderbare Tage in welchen wir sie hielten, liebten, liebkosten, badeten, für sie sangen und sie bewunderten. Unsere zwei Kinder, Bethany (3 Jahre) und Hannah (19 Monate), konnten nicht genug von ihr kriegen. Sie hielten sie, streichelten sie, küssten sie und verhielten sich genau, wie man es bei einem neuen Baby erwartet – mit Faszination und Neugier. Ich glaube, es war einfach für sie, Emma's "gebrochenen Kopf" zu akzeptieren, weil wir es taten. Wir fürchteten uns nicht vor ihr und ich denke, das spürten unsere Kinder. Kinder gehen mit einer solchen Situation ohne Vorurteile um und sie lernen ihre Antworten von uns. Emma wurde voll und ganz von uns willkommen geheissen und sie liebten sie vollumfänglich. Emma hielt ihre Finger fest – wir lehrten die Mädchen, dass wenn das Baby deinen Finger hält, dies heisst "ich liebe dich". So versuchten sie immer wieder ihre Hand zu halten und sprachen immer davon, wie sehr Baby Emma sie liebte.

Es gab viele traurige Momente, die wir nicht vor ihnen versteckten. Sie wurden in die Beerdigung einbezogen und sagten ihr Aufwiedersehen. Es war schwierig für uns, uns auch weiterhin gut um sie zu kümmern, da wir selbst so ausser uns waren, aber irgendwie überlebten wir dies alles ohne Schaden.

Meine grösste Trost ist nun, dass wir nie aufgehört haben, Emma zu lieben. Wir waren die ganze Zeit bei ihr, beschützten sie, kämpften für sie und liebkosten sie. Ich denke, dass mit dem Schmerz ihres Todes zu leben, hart genug ist, aber ich bin dankbar, dass wir keine Schuldgefühle oder Bedauern haben müssen. Es gibt da einen Bibelvers der sagt "Es gibt keine Angst in der Liebe, da perfekte Liebe die Angst fort treibt... derjenige der Angst hat, ist nicht perfekt in Liebe gemacht". Ich glaube, dass die Liebe, welche wir für unsere Kinder besitzen, uns erlaubt, sie angstlos zu lieben, selbst wenn es so sehr weh tut.

Sei gesegnet mit ihrer Geschichte wie wir es mit ihrem Leben waren.

Anne Andis

 

Aus dem Amerikanischen übersetzt mit Erlaubnis der Anencephaly Support Foundation

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 22.02.2019